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Roger Nordmann

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Le Temps, 8.12.2005

Die arithmetische Konkordanz ist gescheitert: 2007 soll der Bundesrat aus einem politischen Abkommen hervorgehen

Par Josiane Aubert, François Cherix, Philip Gasser, Marianne Huguenin, Yvette Jaggi, François Lachat, François Loeb, Jean Martin, Christa Markwalder, Pierre Maudet, Roger Nordmann, Gilles Petitpierre, Josef Zisyadis.

Détail sous : Archives du Centre pour la réforme des institutions

 

Am 13. November 2003 in Bern, beim Verlassen des Café des Amis, wo sie sich versammelt hatten, um die Bildung des Bundesrats zu diskutieren, konnten die Vertreter der vier Regierungsparteien ihre Verlegenheit nicht verbergen. „Wir wollen die Konkordanz“, hielten sie fest; „doch wir sind uns in nichts einig ausser im Willen, an der Macht zu sein“, präzisierten sie. Mit dem Zugeständnis, dass die Schnittstellen zwischen ihren politischen Zielen inhaltslos waren, anerkannten sie, dass die Schweiz in eine rein rechnerische Konkordanz eintrat, ohne gemeinsame Visionen. Am Abend des 10. Dezember ergaben sich die Kommentatoren übrigens dem System: „Sie werden sich wohl verstehen müssen“, sagten sie, in der Hoffnung, dass allein schon die Tatsache gemeinsamer Regierungstätigkeit die fehlende Übereinstimmung in politischen Gehalt verwandelt. Zwei Jahre später ist das Scheitern offenkundig. Arithmetik ersetzt nicht die Politik.

     In der Tat gründet sich die Exekutive nicht einmal mehr auf eine übereinstimmende Interpretation der Institutionen. Christoph Blocher profitiert von diesem Mangel und handelt wie ein virtueller Premierminister. Regelmässig spielt er sich als möglicher Retter aller Departemente auf. Er greift in alle Bundesangelegenheiten ein. Versteht seine Überzeugungen als Auftrag, die gesamte Politik zu bestimmen. Macht sich ein überholtes System zum Werkzeug und nutzt alle Macht, die davon ausgeht, ohne sich um Regeln zu kümmern, weder im Bundesrat noch im Parlament.

     Die Abstimmungen setzen diesem Gebaren offenbar keine Grenzen. Man hätte glauben können, das Ja zur erweiterten Personenfreizügigkeit bringe eine Beruhigung in der Europafrage und begünstige eine schrittweise Öffnung. Am 11. November hat Christoph Blocher in Montreux jedoch seine Angriffe gegen die Europäische Union wieder aufgenommen. Er führte damit vor Augen, dass ihn der Regeleffekt der direkten Demokratie auf die Bundespolitik nicht betrifft und in seinen Augen offenbar das Volk doch nicht immer recht hat, es sei denn, es stelle sich in der Mehrheit über den Rechtsstaat.

     Seit zwei Jahren geht überall die mässigende Wirkung verloren, die das politische System mit sich bringen sollte. Im Bundesrat scheint die Suche nach einem Konsens durch arithmetische Kräfteverhältnisse ersetzt. An Stelle eines Integrationsinstruments wird die Exekutive zu einem Konfrontationsfeld, das die Spannungen zwischen den Parteien verstärkt. Jedenfalls erlaubt sie nicht mehr die Schaffung kohärenter Lösungen, wie sie die Öffentlichkeit verlangt. Es gelingt ihr nicht mehr, eine gemässigte Politik zu umreissen, die in den Kammern die Mehrheiten erlangt. Damit bleibt den Minderheiten nur noch das Instrument des Referendums, um in einer Staatsform zu bestehen, die von der Konkordanz lediglich noch den Namen trägt.

     Das Fehlen einer gemeinsamen Sprache unterhält im Bundesrat einen perversen Mechanismus, der sich selbst antreibt. Von der Spitze werden Projekte initiiert, die in alle Richtungen weisen; das Parlament nimmt daran Anstoss, versteift sich in seinen Positionen und verschärft sie; dem Volk wird bange, und es zensiert; auf allen Ebenen wachsen die Frustrationen und verschärfen die Polarisierung wie auch die scheinbare Widersprüchlichkeit der Projekte umso mehr. Die politischen und sozialen Kosten dieser anhaltenden Funktionsstörung sind beträchtlich. Zu viele Bereiche erleiden Pannen. Die Sozialversicherungen, das Gesundheitssystem, Bildung und Erziehung, die Forschung, die Steuern, der Verkehr, Energie, Umwelt, öffentliche Dienste, die Armee warten auf Antworten. Welches Schicksal ereilt diese Bereiche? Wer kann das voraussagen? Wie soll man sich die Zukunft denken, ohne zu wissen, ob das oberste Steuerorgan zugunsten des Volks auf die Zerstörung des Staates abzielt oder auf den Schutz des Volkes durch staatliche Garantien?

     Wie die Kräfteverhältnisse sich immer entwickeln, der Zusammenhalt des Bundesrats wird sich nicht auf wunderbare Weise wiederherstellen. Christoph Blocher ist mehr Symptom als Ursache einer strukturellen Krise. Zunächst ist die politische Polarisierung unumgänglich: Wir sind in eine Kommunikationsgesellschaft eingetreten, die ihrem Wesen nach vereinfacht und polarisiert. Anderseits verlangen die politischen Geschäfte des Bundes künftig ein Regierungsteam und nicht einen einfachen Verwaltungsrat. Drittens braucht die Schweiz angesichts der aktuellen Veränderungen globale Visionen und keine Projekte, die sich gegenseitig aufheben. Viertens verlangt die Globalisierung rasche Antworten von Staaten, die ihre Optionen nicht mehr von unendlichen inneren Streitigkeiten abhängig machen können. Schliesslich verlangen die heutigen Staatsbürger Transparenz und Lesbarkeit des politischen Handelns, ohne die sie ihre Institutionen zugunsten gefährlicher populistischer Umwege verwerfen.

     Mit anderen Worten ist die sukzessive Wahl des Bundesrats nach Dienstalter überholt. Deutschland arbeitet vergleichsweise rationeller. Es wird zuerst über die Art der Koalition verhandelt und deren programmatische Linien. Zwar sind die Diskussionen heftig und garantieren den Erfolg der getroffenen Wahl nicht; doch mindestens ist ein Rahmen und ein Kurs vorgegeben. In Bern nennt ein zufallsreicher Morgen die Namen von sieben Leuten, wovon man sich vier Jahre lang fragt, was sie zusammen machen. Um das Verfahren zu erneuern, schlägt das Centre pour la Réforme des Institutions Suisses (CRIS) vor, den Bundesrat durch eine Listenwahl in zwei Wahlgängen zu ermitteln. Dieser Vorschlag, als parlamentarische Initiative formuliert und im vergangenen Oktober eingereicht, wahrt die helvetischen Werte. Er schliesst eine Konkordanz aller Parteien in keiner Weise aus. Dagegen lädt er diese ein, Verhandlungen über politische Ausrichtungen und Personen zu führen, woraus die Zusammenstellung der Listen erfolgt. Der Zufall ist ausgeschlossen, zugunsten des übereinstimmenden Willens, gemeinsam zu regieren.

     Nach Halbzeit ist das Ergebnis des eidgenössischen Weins von 2003 katastrophal. Und eine quälende Frage stellt sich: Müssen wir diesen Kelch in zwei Jahren aus purer Trägheit immer noch trinken?

Le Temps, 8.12.2005

 

 

  

 

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